Seit 26.04.20 herrscht nun in Bayern eine Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr zu tragen. Dies gibt vielen Menschen Sicherheit und kann voraussichtlich Ansteckung vermindern.
Immer wieder lautet die Botschaft nun, “zeigen Sie Verantwortung und tragen Sie eine Maske“! Dies impliziert manchmal, dass Menschen, die keine Maske tragen, nicht verantwortlich sind.
Wir möchten sehr darauf hinweisen, dass es nicht für alle Menschen möglich ist, eine Maske zu tragen. Manche können dies aus gesundheitlichen Gründen nicht, weil sie z.B. eine Erkrankung der Lunge haben. Auch viele Menschen, die von den Folgen traumatischer Erfahrungen betroffen sind, können dies oftmals nicht.
Das Tragen einer Maske und oft auch der Anblick von anderen, die Masken tragen, löst häufig Angst- und Panikzustände oder Flashbacks, d.h. ein Wiedererleben traumatischer Erfahrungen, aus. Das, was nun gemäß Verordnung einen Schutz darstellen soll, wird von Menschen mit traumatischen Erfahrungen häufig als Bedrohung erlebt. Oftmals trugen die Täter, die Gewalt ausübten, Masken, um nicht erkannt zu werden, oder den Opfern wurde der Mund zugehalten oder sie wurden mit einem Tuch geknebelt. Viele der Betroffenen können deshalb nichts in ihrem Gesicht ertragen.
Dazu kommt, dass Menschen, die oft von klein auf Gewalt erlebten, sehr wachsam sind. Sie überprüfen ständig ihre Umgebung und schauen, ob von irgendwo eine Gefahr herkommt. Gesichter, an denen nun keine Mimik mehr zu erkennen ist, verunsichern und stellen jetzt eine (zusätzliche) Bedrohung dar.
Das Wissen darüber, was die aktuellen Gründe sind, warum Menschen nun verpflichtend eine Maske tragen müssen, hilft hier den Betroffenen nur bedingt weiter. Die Angst- und Panikgefühle werden nicht im Frontalhirn, also dem Teil des Gehirns, der für unser Denken zuständig ist, ausgelöst, sondern im limbischen System und dem Hirnstamm, in dem auch unsere Überlebensreaktionen wie Kampf, Flucht oder Erstarrung verankert sind. Kontrolle ist hier oft nur sehr schwer möglich. Diesen Kontrollverlust immer wieder zu erleben, kann zu großer Verzweiflung führen.
Aktuell scheint es so, dass wir Menschen in Krisenzeiten gerne einfache und klare Antworten und Anweisungen wollen. Dabei wird oft übersehen, dass es eben nicht nur richtig oder falsch gibt, sondern auch vieles dazwischen. Es gibt eben auch gute Gründe, warum jemand keine Maske trägt, und darauf möchten wir hinweisen.
Menschen, die keine Maske tragen können, haben deshalb jetzt zusätzlich die Sorge, dass man ihnen mit Misstrauen und Feindseligkeit begegnet, weil sie keine Maske tragen. Sie ziehen sich deshalb noch mehr zurück. Fatal wäre auch zu sagen, dass die Betroffenen dann eben zu Hause bleiben sollen. Dies würde das Gefühl der Verzweiflung, Ohnmacht und Hilflosigkeit noch verstärken. Gerade Menschen mit Traumaerfahrungen müssen nun verstärkt Wege finden, sich trotz allem noch mit anderen Menschen verbunden und selbstwirksam fühlen zu können.
Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, vorsichtig und achtsam miteinander umzugehen - statt andere anzugreifen und sie zu verurteilen, böse anzureden oder anzuschauen, weil sie etwas anders machen; einen Schritt zurücktreten, trotz der gegenwärtigen Angespanntheit, und sich bewusst machen, dass Menschen unterschiedlich sind und auch unterschiedliche Wege brauchen, um stabil durch diese Zeit zu kommen. Ich würde mir wünschen, dass wir als Einzelne und auch als Gesellschaft mehr lernen, auch in schwierigen Zeiten wahrzunehmen, dass Menschen Unterschiedliches brauchen und nicht zum Schutz der Einen die anderen gefährdet werden.
Nürnberg, 30.04.2020
Martina Bock