"Hier mit Euch habe ich erlebt, wie schön das Leben sein kann!" sagte eine Teilnehmerin aus Sinjar in der Abschlussrunde.
Vom 18. bis 25. Mai fand in Alqosh, einem alten christlichen Ort in Kurdistan-Irak, die „Akademie für Frieden und Dialog“ statt. 16 junge Menschen aus verschiedenen Orten und Gemeinschaften des Landes nahmen daran teil. Sie sind Mitglieder des Jugendnetzwerks für Frieden und Dialog, das seit 2018 besteht. Es war die zweite Akademie in Kurdistan-Irak, die wir in Kooperation mit unserer Partnerorganisation Jiyan Foundation for Human Rights umgesetzt haben und sie wurde zweisprachig (Arabisch und Kurdisch) abgehalten.
Ethnisch und religiös ist der Irak ein Mosaik verschiedener Identitäten und Glaubensrichtungen. Die Teilnehmer:innen der Akademie waren Muslim:innen, Christ:innen, Ezid:innen und Kaka’i; Shabak, Kurd:innen, Araber:innen und Assyro-Chaldäer:innen. Diese Gemeinschaften sind tief im Land und in seiner Geschichte verwurzelt, und diese Vielfalt hat zum kulturellen Reichtum des Irak beigetragen, wobei jede Gemeinschaft ihre einzigartigen Bräuche, Sprachen und Traditionen bewahrt hat. In der Vergangenheit sah sich das Land jedoch auch großen Herausforderungen gegenüber, die von extremer Gewalt und konfessionellen Spannungen geprägt waren Bis heute leiden Menschen aus den marginalisierten Gemeinschaften des Landes unter Diskriminierung und Ausgrenzung. Auch deshalb setzen sich viele von ihnen für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Gemeinschaften ein. Von der Gewalt der letzten Jahre und Jahrzehnte hat sich das Land noch nicht erholt, die gewaltsamen und traumatischen Erfahrungen sind zum großen Teil noch nicht verarbeitet. Dennoch richtet sich der Blick in die Gegenwart und in die Zukunft.
Vor diesem Hintergrund war auch diese Akademie ein Versuch, auf eine Zukunft der friedlichen Koexistenz im Land hinzuarbeiten. Die Grundlage für die achttägige Akademie wurde zunächst durch gemeinsame Regeln durch die Teilnehmer:innen selbst gesetzt, bevor sie in Gruppen die Geschichte ihrer jeweiligen Gemeinschaften und Religionen vorgestellt haben. So konnten wir auch der Frage nachgehen: Welche Gemeinsamkeiten haben wir und wie können wir in unseren Kontexten diese fördern? Dies ist nicht zuletzt wichtig, weil vonseiten der Politik und Klerus immer wieder die Unterschiede propagiert werden, die nicht selten dafür instrumentalisiert werden, um Macht über andere zu rechtfertigen. Dabei werden insbesondere gegenüber den Jesid:innen diskriminierende Aussagen getroffen, die weit verbreitet sind. So begleitete uns in diesen Tagen auch die Frage, wie wir Hass und Intoleranz überwinden.
Die Akademie bot Raum für Workshops, Seminare und Besuchen. An einem Tag haben wir drei heilige Stätten besucht, um persönlich mit den religiösen Repräsentanten zu sprechen: Die Heiligste Stätte der Jesid:innen in Lalish, eine Moschee in Shekhan und das Rabban Hormizd-Kloster in Alqosh. Darüber hinaus organisierten wir ein Panel, an dem religiöse Vertreter dieser drei Gemeinschaften und der Trainer der Akademie, Dr. Hawre Zangana, teilnahmen. Ein sicherer Raum war wichtig, um auch über sensiblere Fragen zu sprechen, da diese im öffentlichen Diskurs oft als Höflichkeitsfloskeln kommuniziert werden, wobei bestehende Probleme ignoriert, gar geleugnet werden.
Während der Akademie begleitete uns eine Reihe von Fragen: Was wünschen wir uns von den Menschen mit anderen religiösen Überzeugungen? In was für einer Gesellschaft möchten wir eigentlich leben? Welche Verantwortung hat die Mehrheitsgesellschaft? Und welche Rolle spielt Erinnerungskultur in diesem Prozess? Die Teilnehmer:innen führten dazu zahlreiche Gespräche, auch zwischen den Einheiten. Dabei wurden schwierige Themen immer wieder besprochen. Zuhören, auch wenn es herausfordernd ist. Eine jesidische Teilnehmerin aus Snuni, die mit ihrer Familie die gewaltsamen Ereignisse ab Sommer 2014 überlebte, seitdem in einem Binnenvertriebenencamp lebt und nun als Zeitzeugin mit den anderen Teilnehmer:innen der Akademie sprach, erzählte ihre Geschichte. Dabei machte sie klar, dass sie trotz allem ihren Glauben an die Menschen und Menschlichkeit nicht verloren hat und sich mit Mitstreiter:innen für ein Leben in Sicherheit und Frieden einsetzen wird. Die entgegengebrachte Empathie und Solidarität bewegten jede:n von uns.
Am vorletzten Tag wurde unter Einbeziehung aller Teilnehmer:innen der Akademie unter der Regie von Dr. Hawre Zangana in den Bergen ein Theaterstück inszeniert, in dem das Curriculum der Schulen kritisch in den Blick genommen wurde und für ein inklusives und tolerantes Curriculum plädiert wurde, und die Frage aufgeworfen, welche Rolle die Jugend spielen kann, um die bestehenden Widerstände mancher Segmente der Gesellschaft gegen eine Reform zu überwinden.
Die Akademie war eine zeitlich, inhaltlich und emotional herausfordernde Erfahrung. Folglich durften ressourcen-orientierte Freizeitaktivitäten wie Energizer, eine Bergtour und ein Lagerfeuer nicht fehlen. Das Entgegenkommen und die Unterstützung unserer Gastgeber war großartig und machte diese Erfahrung möglich. Wir sind dankbar auch für die Gastfreundschaft der lokalen Gemeinschaft, die zum ersten Mal eine größere Gruppe aus den unterschiedlichsten Gemeinschaften des Landes im Al-Fadi-Kloster empfangen hat. Ebenfalls einmalig war das Konzept des Projektes, in dem das Leben in ethnischer und religiöser Vielfalt praktisch gelebt und erlebt wurde.
„Der Raum, der hier in Alqosh geschaffen wurde, ist unglaublich wichtig. Es darf keine Ausnahme bleiben. Dass ich hier meine Geschichte erzählen durfte und mir empathisch zugehört und Beistand zugesichert wurde, ist ein einmaliges Erlebnis für mich und ich werde es niemals vergessen“, sagte eine Teilnehmerin in der Abschlussrunde. „Diese Kraft wird mich ein Leben lang begleiten.“